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„Wir haben viele Argumente auf unserer Seite“

Variante IV noch nicht in Stein gemeißelt: Betroffene Kommunen entlang der Neubaustrecke Hanau-Würzburg/Fulda geben sich kämpferisch

Es klang so, als sei bereits alles in trockenen Tüchern: Die Neubaustrecke Hanau-Würzburg/Fulda soll in Variante IV realisiert werden. Doch so weit sei es noch lange nicht, betonen jetzt unisono die Bürgermeister der Kommunen Bad Soden-Salmünster, Kalbach, Schlüchtern und Steinau an der Straße. In einer gemeinsamen Pressekonferenz in der Schlüchterner Stadthalle geben sie sich kämpferisch.

Die Regierungspräsidien Darmstadt und Kassel hatten keine Einwände gegen die Argumentationen der Deutschen Bahn zum Raumordnungsverfahren (siehe Infokasten). Heißt konkret: Wenn es nach ihnen geht, ist Variante IV die aus Sicht der Raumordnung einzig geeignete für die Neubaustrecke Hanau-Würzburg/Fulda, der Rest fällt raus.

Dominik Brasch, Bürgermeister von Bad Soden-Salmünster, betonte bei der Pressekonferenz in der Stadthalle in Schlüchtern: „Unsere Bedenken und Einwände wurden von den Regierungspräsidien nur sehr unvollständig berücksichtigt, stattdessen wurde ohne nachvollziehbare Prüfung der Argumentation der Bahn gefolgt. Die Defizite der landesplanerischen Beurteilung werden wir in der Planfeststellung erneut aufgreifen, um die jetzige Trassenführung zu verändern. Wir haben viele Argumente auf unserer Seite.“

Zur Unterstützung haben sich die vier Kommunen einige Experten ins Boot geholt: Diplom-Geograph Wulf Hahn von der Fachagentur „RegioConsult Verkehrs- und Umweltmanagement. Hahn & Dr. Hoppe GbR“ sowie die beiden Rechtsanwälte Dr. Franziska Heß (Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB) und Andreas Ruckelshausen (Ludwig Wollweber Bansch Rechtsanwälte Partnerschaft). Sie haben sich die landesplanerische Beurteilung (siehe Infokasten) zur Brust genommen und etliche Fehler und Mängel entdeckt.

Das Thema Siedlungserweiterung sei beispielsweise nicht annähernd in dem Maße berücksichtigt worden, in dem es sonst üblich sei. Steinaus Rathauschef Christian Zimmermann: „Bei der favorisierten Variante bekommen alle vier Kommunen enorme Probleme. Neubaugebiete könnten wegfallen, Wachstum würde behindert.“

Weitere Kritikpunkte: Alternative Varianten seien nur unzureichend geprüft worden. Bei Variante V sei die in solchen Fällen obligatorische fachliche Vorprüfung des Fauna-Flora-Habitat-Gebietes, konkret geht es um „Obere und mittlere Fuldaaue“ im Bereich des Naturschutzgebietes Ziegler Aue, beispielsweise schlicht nicht durchgeführt worden, bei Variante VII erschließt sich den Gutachtern der vier Kommunen die Einstufung als raumunverträglich nicht. Denn die erhebliche Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung, von der bei Variante VII die Rede ist, sei bei der favorisierten Variante IV hingegen als nicht verfahrensrelevant eingestuft worden.

Wulf Hahn von RegioConsult fasst zusammen: „Alternative Streckenführungen wurden zu schnell ad acta gelegt und die favorisierte Variante zu einseitig beleuchtet.“

Ein weiteres Beispiel dafür sei der Lärmschutz, der nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden habe. Kalbachs Bürgermeister Mark Bagus betonte bei der Pressekonferenz: „Die geplante Strecke würde bei allen vier Kommunen für erhebliche Lärmbelästigung sorgen. Und das nicht nur während der Bauphase, sondern auch im laufenden Betrieb.“

All diese Einwände seien in die Bewertung aber nicht eingeflossen, genauso wie die Kombivariante aus den Streckenführungen V und VII mit einer Bündelung an der A66 nicht berücksichtigt wurde, die die Kommunen zur Prüfung vorgeschlagen hatten.

Wie geht es konkret weiter? An die landesplanerische Beurteilung knüpft das Planfeststellungsverfahren (siehe Infokasten) an. Genau an dieser Stelle wollen die vier betroffenen Kommunen einhaken. Sie wollen sämtliche Kritikpunkte noch einmal öffentlich an die Regierungspräsidien herantragen und behalten sich außerdem vor, gegen den Planfeststellungsbeschluss zu klagen. Rechtsanwalt Andreas Ruckelshausen erläutert: „Die landesplanerische Beurteilung stellt lediglich eine gutachterliche Äußerung dar und hat keine verbindliche Außenwirkung. Erst im jetzt folgenden Planfeststellungsverfahren wird über die Zulassung der Variante IV entschieden und noch offenstehende fachliche und rechtliche Fragen geklärt.“ Zeithorizont hier: frühestens 2027

Abschließend machte Schlüchterns Bürgermeister Matthias Möller deutlich: „Egal welche Variante am Ende realisiert wird, es wird immer Gewinner und Verlierer geben. Das ist uns bewusst. Wir haben deshalb auch keinen favorisierten Streckenverlauf, sondern fordern schlicht, dass das Verfahren sauber und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar abläuft. Und dafür werden wir auch weiterhin kämpfen.“

Die Pressekonferenz kann in voller Länge auf dem Youtube-Kanal der Stadt Schlüchtern unter https://www.youtube.com/@visitschluechtern491 angeschaut werden.

 

Infokästen:

Was ist das Raumordnungsverfahren?

Im Raumordnungsverfahren wird ein konkretes Vorhaben – hier die geplante Neubaustrecke Hanau-Würzburg/Fulda – von den betroffenen Regierungspräsidien auf ökonomische, ökologische, kulturelle und soziale Aspekte hin überprüft. Es macht landesplanerische Vorgaben zur Berücksichtigung der Ziele der Regionalplanung für das Planfeststellungsverfahren.

Was ist die landesplanerische Beurteilung?

Die landesplanerische Beurteilung ist das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens. In diesem Papier steht, ob das geprüfte Vorhaben mit den beiden Regionalplänen Nord- und Südhessen vereinbar ist oder nicht. Im Falle der Neubaustrecke Hanau-Würzburg/Fulda lautete das Ergebnis: Einzig die Variante IV ist geeignet. Dies wollen die Kommunen Bad Soden-Salmünster, Kalbach, Schlüchtern und Steinau an der Straße nicht akzeptieren, sie bemängeln offensichtliche Fehler und mangelnde Sorgfalt im Raumordnungsverfahren.

Was ist das Planfeststellungsverfahren?

Das Planfeststellungsverfahren ist quasi der Bauantrag mit konkreten Zeichnungen. Die Planfeststellungsbehörde überprüft nun, ob die Begründungen in der landesplanerischen Beurteilung korrekt und ausreichend sind. Jetzt ist es den Kommunen sowie allen Bürgerinnen und Bürgern nochmals möglich, Bedenken öffentlich vorzutragen. Aus diesen Einwänden erstellen die Regierungspräsidien einen Anhörungsbericht, den wiederum die Planfeststellungsbehörde in die Beurteilung mit einfließen lassen muss. Am Ende steht ein Planfeststellungsbeschluss, gegen den geklagt werden kann. Genau diesen Schritt behalten sich die vier Kommunen ausdrücklich vor.

 

Die geplante Strecke:

Wie verläuft die Variante IV?

Die von der Bahn favorisierte Strecke verläuft von Hanau bis nach Gelnhausen nahezu entlang der bestehenden Gleise. Zwischen Gelnhausen und Wächtersbach verläuft die Strecke im Kinzigtal, wechselt dann auf die andere Talseite und umfährt Bad Soden-Salmünster und Steinau an der Straße östlich. Danach quert die Neubaustrecke bei Niederzell das Kinzigtal erneut mit einem großen Brückenbauwerk mit anschließendem Tunnel und umfährt Schlüchtern schließlich im Norden. Es folgt ein sieben Kilometer langer Tunnel bis Kalbach, bevor die Strecke den Kalbach quert und dort an die Bestandsstrecke anschließt.

 

Statements der Bürgermeister:

Mark Bagus (Kalbach): Die positive Entwicklung aller Kommunen wird bei der aktuell geplanten Variante IV für mindestens ein Jahrzehnt blockiert, in Kalbach geht es konkret um die vier Tunnel südlich und östlich von Mittelkalbach. Eine Baulärmbetrachtung zu den circa 30 Hektar großen Baueinrichtungsflächen wurde bislang auch nicht vorgelegt, und mögliche Beeinträchtigungen der Trinkwasserversorgung haben ebenfalls keine Berücksichtigung gefunden. Davon sind wir alle betroffen. Ich begrüße das gemeinsame Vorgehen aller vier Kommunen deshalb sehr.

Dominik Brasch (Bad Soden-Salmünster): Die Kommunen Steinau an der Straße, Schlüchtern, Kalbach und Bad Soden-Salmünster sind die vier am stärksten betroffenen, deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam agieren. Die Regierungspräsidien sind den Vorschlägen der Bahn nahezu ohne Einwände gefolgt, unsere Bedenken, Einwände und Vorschläge, insbesondere zu den geplanten Siedlungserweiterungen, also den Neubaugebieten, wurden dabei kaum berücksichtigt. Damit können wir nicht zufrieden sein. Wichtig zu betonen ist: Es geht uns darum, dass sich das Verfahren an neutralen Maßstäben orientiert. Die von uns entwickelte alternative Trassenführung über die Bestandsstrecke mit der Bündelung an der A66, also Variante VII/V, wurde vom Regieurngspräsidium verworfen, ohne sie einer eigenen Prüfung zu unterziehen. Die Defizite der landesplanerischen Beurteilung werden wir in der Planfeststellung erneut aufgreifen um die jetzige Trassenführung zu verändern.

Matthias Möller (Schlüchtern): Wir stehen Seite an Seite mit unseren Nachbarkommunen und ziehen mit Experten und Fachplanern geschlossen an einem Strang. Wir wollen uns einsetzen und für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Umwelt, den Natur-, Trinkwasser- und Lärmschutz das bestmögliche Ergebnis erreichen. Wir alle sehen die Innenstadtentwicklung stark gefährdet, die Belastungen wären enorm, die Gestaltungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Deshalb verwenden wir all unsere Kraft darauf, dass unsere Bedenken ernstgenommen werden.

Christian Zimmermann (Steinau an der Straße): Die Argumentationen in der landesplanerischen Beurteilung sind undurchsichtig und nicht logisch nachvollziehbar. Die einseitige Bevorzugung der Variante IV bedroht die Entfaltung unserer vier Kommunen über die Maßen. In Steinau sehe ich vor allem die Trinkwasserversorgung akut in Gefahr, konkret spreche ich vom Tiefbrunnen Schiefer. Es ist unsere Pflicht, uns für die Menschen sowie die Schutzgüter aller Art einzusetzen. Und genau das tun wir mit dem Schulterschluss der vier Kommunen.

Die (von links) Bürgermeister Mark Bagus, Dominik Brasch, Christian Zimmermann und Matthias Möller fordern ein nachvollziehbares Verfahren und haben sich dafür unter anderem die Experten Andreas Ruckelshausen und Wulf Hahn ins Boot geholt. Moderiert wurde die Pressekonferenz von Nico Bensing. Foto: Stadt Schlüchtern