In den Jahren 1567 bis 1573 wurde an der damaligen Frankfurt-Leipziger-Straße ein Rathausneubau errichtet. Da der Elmbach das Bauwerk in einem Bogen umfloß, wurde der Platz auch "Am Kies" genannt. Der Name ist heute noch gebräuchlich. Im Rathaus wurden die Amtsgeschäfte und Ratssitzungen abgehalten und es wurde außerdem noch als Gerichtssaal, Marktstätte und Getreidelager genutzt.
Damit es bei den Geschäften immer ehrlich zuging, hing in der Rathaushalle eine große Balkenwaage, außerdem eine eiserne Normalelle.
Ein mächtiges Spitzbogentor führte von der Straßenseite (heute Unter den Linden) durch das Erdgeschoss und ein weiteres Tor direkt in den Hof der dahinterliegenden Stadtschenke. Beim Umbau von 1910 wurde dieses Spitzbogentor geschlossen und zu einem Rundbogenfenster umgebaut. Über dem Fenster ist noch der Stein mit der eingelassenen Jahreszahl 1573 sichtbar. Rechts von diesem Torbogen befand sich ein Erker, der durch die beiden oberen Stockwerke ging. Beim Umbau 1828 wurde er abgebrochen. Links vom Tor erhob sich der noch vorhandene Turm, in dem eine Wendeltreppe zu jedem Stockwerk führte. Im ersten Stock gelangte man zunächst in einen größeren Vorraum; er stand an den Markttagen den angesehenen Tuchhändlern und Schneidern zur Verfügung. "Schwartz wüllen Schlüchterisch Duch" war damals (1597) ein weithin bekanntes und begehrtes Erzeugnis. Von hier führte eine Tür in die große Ratsstube, den Festraum des Rathauses. An der Seite zur Ratsschenke lag die kleine Ratsstube. Der zweite Stock scheint nur ein einziger Raum gewesen zu sein, der zur Aufbewahrung von Naturalabgaben diente.
Erst die Erhebung Schlüchterns zur Kreisstadt im Jahre 1821 sorgte für eine Renovierung und brachte sogar einen Umbau. Die Kreisverwaltung und die Wohnung des Landrates mussten im Rathaus untergebracht werden. Bei dem 1828 durchgeführten Umbau blieben nur die vier Umfassungsmauern und der Treppenturm erhalten, der Erker wurde abgebrochen. Zwei große Eingangstore an der Nordseite und eine Tür am Turmfuss wurden neu angelegt, die Einfahrt an der Straße "Unter den Linden" mit einem Holztor geschlossen. Das neue Rathaus bot jetzt mit seinem niedrigen Walmdach und dem auf seine Mitte gesetzten schlanken Glockenturm sowie den gleichmäßigen, nüchternen Fensterreihen einen völlig neuen Anblick. Die große Halle im Erdgeschoss wurde in Stallungen und Wirtschaftsgebäude aufgeteilt.
Nach dem Umzug der Kreisverwaltung in ein eigenes Gebäude begann 1910 ein weiterer großer Umbau. 1975 war auch das neu gebildete Standesamt im Rathaus eingezogen. Bei diesem Umbau erhielt das alte Rathaus sein heutiges Gesicht. An der Giebelseite "Zum Löwen" hin entstanden das wuchtige Eingangsportal mit dem in Stein gehauenen Wappen darüber und links und rechts zwei große Rundbogenfenster, der Eingang "Unter den Linden" wurde geschlossen. Im ersten Stock und im Erdgeschoss entstanden Diensträume für die städtischen Bediensteten sowie ein Magistratszimmer im ersten Stock. Ein neues Treppenhaus führte zu dem in der zweiten Etage neu geschaffenen, repräsentativen, großen Sitzungssaal für die Stadtverordneten.